Neulich im Museum 3 – Das Leben einer Künstlerin in zwei Sprachen

Kürzlich besuchten wir eine Ausstellung im Gropiusbau mit 454 reproduzierten Fotografien der New Yorker Künstlerin Diane Arbus. Eine der Merkwürdigkeiten dieser Ausstellung ist es, dass Texte mit einem Abriss des Lebens der Künstlerin erst im letzten Raum der Ausstellung angebracht sind. Bezüge zu den ausgestellten Bildern werden nicht hergestellt, man ist aufgefordert, sich selber Bezüge zwischen den Bildern in arbiträrer Hängung zu erschließen.

Im Folgenden soll es aber um die Texte zu Arbus´ Leben und Wirken gehen. Diese sind so angeordnet, dass sie in deutscher Sprache den linken Teil einer Wand beanspruchen, die Texte in englischer Sprache den rechten Teil der Wand. Das Verhältnis der beiden Varianten zueinander ist nicht ersichtlich: wurden die Texte parallel erstellt oder ist eine der Varianten eine Übersetzung der Version in der anderen Sprache? Dies ist für die folgende Betrachtung wichtig.

Der jeweilige Text ist so strukturiert, dass unter einer Jahreszahl die für die Künstlerin wichtigen Ereignisse dieses Jahres dargestellt sind.

Im deutschen Text wird gegendert. Für das Gendern die Form mit dem Genderstern gewählt. In der englischen Version ist dies nicht möglich, da das Englische hierfür keine bzw. nur wenige etablierte Mittel zur Verfügung stellt (z.B. bei der Wahl der Pronomen).

Bildtafel mit Text zum Leben und wirken von Diane Arbus, 1966

Diane Arbus hat nicht von (einer Gruppe junger) Nihilist*innen geschrieben, wie der in Englisch verfasste Originaltext zeigt:

Bildtafel mit Text zum Leben und wirken von Diane Arbus, 1966


In diesem Fall, in dem die Künstlerin zitiert wird, ist der englische Text sicher das Original, das hier ins Deutsche zu übersetzen versucht wird. Dabei wird in der Zielsprache eine Gender-Konstruktion verwendet, von der die dafür Verantwortlichen nicht wissen können, ob Diane Arbus genau dies so sagen wollte bzw. gemeint hat. Die Porträts genderfluider bzw. genderfluid dargestellter Personen lassen vermuten, dass Diane Arbus sich über die fehlenden Möglichkeiten des Englischen, Gender abzubilden oder sprachlich zu konstruieren, geärgert haben mag. Wir wissen es nicht. Aber selbst wenn dem so wäre und das Englische eine ähnliche Möglichkeit geboten hätte wie das Deutsche – es ist unklar, ob sie in einem an eine Jury gerichteten Bewerbung zu diesem Mittel gegriffen hätte. Die Übersetzung ist übergriffig, sie legt der zitierten Künstlerin etwas in den Mund. Die einfache Übertragung in die im Deutschen generische maskuline Form wäre hier eine bessere Wahl gewesen. Möglicherweise war dies aber auch nur Gedankenlosigkeit, aber möchte man das den Verantwortlichen unterstellen? Eine in vielen Publikationen übliche Praxis ist es, den Originaltext und die Übersetzung direkt nebeinander bzw. untereinander zu stellen, sodass die Leserinnen und Leser direkt vergleichen können. Hier sind die beiden Textteile ca. 5 Meter voneinander entfernt.


Die folgende Formulierung im deutschen Text ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine indefinite Referenz mit Einbezug des Gendersterns scheitern muss, wenn die Personen, auf die Bezug genommen wird, alle bekannt sind, auch und besonders hinsichtlich ihres (biologischen, sozialen) Geschlechts.

Bildtafel mit Text zum Leben und wirken von Diane Arbus, 1967


Die drei Ausgewählten der Ausstellung waren: Diane Arbus, Lee Friedlander, and Garry Winogrand, wie in dieser Beschreibung weiter unten auch erwähnt wird, also eine Fotografin und zwei Fotografen. Weder bei Friedlander noch bei Winogrand ist erkennbar, dass sie sich jemals anders als männlich hätten lesen lassen wollen. Der Text unterstellt dies, eine andere Funktion kann das „divers“-Zeichen an dieser Stelle nicht haben. Eine Formulierung wie: Diane Arbus wurde zusammen mit den Fotografen Lee Friedlander und Garry Winongrad … ausgewählt wäre hier passender gewesen – das gilt in diesem Fall für die Darstellung in beiden Sprachen. Dass auch auf dieser Tafel ein Zitat (des Kurators der „New Documents“) übergriffig übersetzt wird, sei hier auch nur erwähnt.