Von der Pflicht

In der neuesten Ausgabe der Zeit widmet sich der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz dem Thema der Pflicht. Er sieht besonders bei den progressiven Kräften der Gesellschaft ein neues Pflichtbewusstsein aufkommen, nachdem ein halbes Jahrhundert lang dort der Primat der (individuellen) Freiheit galt. Als Indikatoren dafür macht Reckwitz die gesellschaftliche Haltung zur Impfpflicht und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den sog. Klimazielen der Bundesregierung aus. Die Freiheit wird verbunden mit einer Pflicht bzw. Verpflichtung gegenüber den Mitmenschen und den uns nachfolgenden Generationen. 

Schlägt sich das auch sprachlich nieder? Wie wurde das Thema, ausweislich des Monitorkorpus, verhandelt oder, besser, sprachlich ausgestaltet?

Bei den Komposita mit dem Grundwort Pflicht führen die Stichwörter (bzw. Begriffe): Maskenpflicht, Testpflicht, Impfpflicht, Quarantänepflicht. Es folgt das mittelbar mit Caorona zusammenhängende Präsenzpflicht, dann geht es mit Corona und der Zertifikatspflicht weiter. Sorgfaltspflicht, Schweigepflicht und Wehrpflicht folgen mit weitem Abstand. Auch die Stallpflicht erinnert uns an eine andere Art von Infektionskrankheit. Noch weiter unten in der Reihe findet sich mit Solarpflicht eine Pflicht”androhung”, denn mehr ist sie wohl nicht, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel steht. Schließlich wird ganz weit am Rande noch die Pfandpflicht thematisiert.

Bei den Komposita mit dem Grundwort -pflichtig ist das Bild etwas anders. An der Spitze steht hier intensivpflichtig. Dieses Wort hat nur indirekt etwas mit Pflicht bzw, dem Verpflichten zu tun, sondern eher etwas mit anerkannter Notwendigkeit (einer intensivmedizinischen Betreuung). Danach reagiert mit steuerpflichtig, kostenpflichtig, meldepflichtig und gebührenpflichtig das Recht bzw. dessen Durchsetzung. Besonders bedrohliche Exemplare dieser Gruppen waren in diesem Jahr: ausreisepflichtig und duldungspflichtig, letzteres wiederum im Zusammenhang mit Corona bzw. der Impfung dagegen.

Bei den Komposita mit dem Bestimmungswort Pflicht- regiert der (erfreulicherweise?) der Sport mit dem Pflichtsieg und der Pflichtaufgabe. Hier ist der Bedeutungsaspekt der moralischen Verpflichtung, und erst recht der Aspekt des Rechtlichen, deutlich verblasst. Die Pflichtimpfung die Pflichquarantäne tauchen etwas weiter unten auf, als interessante Komplementärwörter zur Impfpflicht und der Quarantänepflicht.

Bleibt zu fragen, ob man das nun pflichtbewusst oder gar pflichteifrig(st) zur Kenntnis nimmt oder ob man, wie so viele von uns zu mancher Gelegenheit, pflichtvergessen bleibt.