Die Latte höher oder niedriger legen?

Nach den fast schon zum Ritual gewordenen und wie immer kontroversen, emotional geführten Bund-Länder-Beratungen wurde die Zielinzidenz für bestimmte politische Maßnahmen, die meist auf “-öffnung” enden, von 50 auf 35 (Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner) gesenkt. Diese Änderung bei der Sieben-Tage-Inzidenz mag manche verwundert oder gar verärgert haben. Kaum nähert man sich großflächig einem bestimmten Wert, schon wird er heruntergesetzt. Ist das etwa ein Limbo: Schafft ihr es noch, wenn wir die Latte etwas tiefer legen? Die Änderung dieses Wertes mag willkürlich wirken, weil der Referenzpunkt fehlt: Was ist anders, wenn der Wert nicht bei 36, sondern  bei 34 liegt? Tatsächlich gibt es auch radikalere Forderungen. Die Vertreter*innen der “No Covid”-Strategie sagen in ihrem Plan: bitte unter 10. Wohin die Vertreter*innen der “Zero Covid”Strategie wollen, man ahnt es schon. Tatsächlich aber gibt es eine Referenz für den Wert 35. Dieser findet sich im Infektionsschutzgesetz, §28a, Absatz (3): “Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen”. Der eigentliche Willkürakt war die Festlegung des Schwellenwertes auf 50 auf einer früheren Bund-Länder-Beratung. Mittlerweile hat es auch die ARD geschafft, die neue vertikale Linie in ihre Balkendiagramme einzuziehen. Vielleicht hätte man gleich mehrere Linien einziehen sollen: der Limbo geht weiter.